Die Neue hält nichts von Konventionen – Junge Kunsthistorikerin leitet Programm im 1822-Forum in der Fahrgasse

Es war ein Einschnitt, der in der Frankfurter Kunstszene auffiel. Nach siebzehn Jahren im Amt verließ Max Pauer das 1822-Forum, das traditionsreiche Ausstellungshaus in der Fahrgasse. Seit August verantwortet dort nun die 31-jährige Kunsthistorikerin Anika Charlene Manthey kommissarisch das Programm. Die junge Wissenschaftlerin und Ausstellungsmacherin übernimmt die Leitung zunächst bis März 2026.

Anika Charlene Manthey vor dem 1822-Forum in der Fahrgasse, das sie seit August kommissarisch leitet. Foto: Edda Rössler
Anika Charlene Manthey vor dem 1822-Forum in der Fahrgasse, das sie seit August kommissarisch leitet.
Foto: Edda Rössler

„Ich kam im Grunde durch Zufall hierher, zur rechten Zeit am rechten Ort“, erzählt Manthey. Nach ihrem Volontariat am Hessischen Landesmuseum Darmstadt und einem Arbeitsaufenthalt in Frankreich hörte sie, dass im 1822-Forum kurzfristig Unterstützung gesucht wurde. Sie bewarb sich initiativ und wurde genommen. Dass sie mit unvorhergesehenen Situationen umgehen kann, zeigt sie seither Tag für Tag.

Manthey hat Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Architekturgeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt studiert. Besonders interessiert sie das Verhältnis von Mensch und Raum, jene „Zwischenräume“, wie sie sagt, in denen Emotion, Wahrnehmung und Bewegung aufeinandertreffen. Schon während ihres Studiums beschäftigte sie sich mit südostasiatischer Architektur, deren soziale Dimension sie fasziniert. „Mich interessiert, wie der Mensch auf Räume reagiert und wie Kunst diese Beziehung sichtbar machen kann.“

Im 1822-Forum ist sie nun mit der Aufgabe betraut, das von ihrem Vorgänger geplante Ausstellungsprogramm zu Ende zu führen. Erst danach soll das Konzept neu aufgestellt werden. „Natürlich ist das eine Herausforderung“, sagt sie. „Nach so vielen Jahren Kontinuität wird automatisch verglichen. Ich möchte den Künstlern gerecht werden und ihnen die bestmögliche Unterstützung bieten, besonders, wenn es ihre erste Ausstellung ist.“

Wie viel Feingefühl und Professionalität sie mitbringt, zeigt sich in der aktuellen Schau „Der Mensch entmenschlicht den Menschen“ der russischen Bildhauerin und Videokünsstlerin Elena Artemenko. Die Künstlerin, die an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach studiert, musste Russland verlassen, weil sie in ihrer künstlerischen Freiheit eingeschränkt wurde. Ihre Skulpturen und Installationen kreisen um Gewalt, Unterdrückung und Erinnerung. Sie verbinden Marmor und Silikon, Tierkörper und menschliche Anatomie, Schönheit und Schrecken. Die Ausstellung ist keine leichte Kost, aber sie entfaltet eine enorme Sogwirkung.

Anika Charlene Manthey in der Ausstellung „Der Mensch entmenschlicht den Menschen“ von Elena Artemenko. Der verschmutzte Boden ist Teil des künstlerischen Konzepts und verweist auf Spuren von Gewalt und Erinnerung. Foto: Edda Rössler
Anika Charlene Manthey in der Ausstellung „Der Mensch entmenschlicht den Menschen“ von Elena Artemenko. Der verschmutzte Boden ist Teil des künstlerischen Konzepts und verweist auf Spuren von Gewalt und Erinnerung.
Foto: Edda Rössler

Auffällig ist dabei auch das Setting. Der rohe, stellenweise verschmutzte Boden des Ausstellungsraums bildet einen scharfen Kontrast zu den präzise gearbeiteten Skulpturen. Manthey sieht darin eine bewusste Entscheidung: „Dieser Boden ist nicht dekorativ, er gehört zum Werk. Er spiegelt die Brüchigkeit und die Spuren des Menschlichen wider, die in Artemenkos Arbeiten verhandelt werden.“ Viele Besucher seien zwiegespalten, berichtet sie. „Die Objekte sind schön und abstoßend zugleich. Das Erschrecken über das eigene Empfinden berührt die Menschen.“

Manthey versteht ihre Aufgabe nicht nur als Organisation, sondern auch als Vermittlung. Schon im Hessischen Landesmuseum führte sie Besuchergruppen und entwickelte ihren eigenen Zugang: „Ich frage gern zuerst, ob jemandem ein Werk gefällt. Das ist in der Kunstgeschichte eigentlich verpönt, aber von dort aus kann man ins Gespräch kommen. Warum gefällt es, warum nicht, was löst es aus?“ So holt sie Menschen bei ihrem Empfinden ab, statt sie mit Theorie zu überfordern.

In der kurzen Zeit seit ihrem Amtsantritt hat sie sich bereits in der Frankfurter Galerienszene vernetzt, etwa bei den Saisoneröffnungen in der Fahrgasse. Sie sucht das Gespräch mit Kollegen, aber auch mit Studierenden der HfG Offenbach, deren Energie sie beeindruckt. „Es gibt dort viele spannende Positionen“, sagt sie. Namen will sie noch nicht nennen, weil ihre Zukunft im Haus offen ist. Sollte sich die Zusammenarbeit mit dem 1822-Forum über März hinaus fortsetzen, würde sie jedoch gerne weiterhin jungen, experimentellen Stimmen Raum geben.

Anika Charlene Manthey steht für eine neue, unaufgeregte Form von Führung. Sie beobachtet, ordnet, bringt zusammen. Ihre Stärke liegt im genauen Hinschauen und im Verständnis dafür, wie Kunst und Öffentlichkeit sich begegnen können. Vielleicht ist es gerade diese Haltung, die dem 1822-Forum in einer Phase des Übergangs guttut: eine Kuratorin, die Brücken baut zwischen Werk und Wahrnehmung, zwischen Tradition und Aufbruch.

(Ausstellung „Der Mensch entmenschlicht den Menschen“ von Elena Artemenko, 30. September bis 1. November 2025, 1822-Forum, Fahrgasse 9, Frankfurt. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 14–18 Uhr, Samstag 13–16 Uhr, Eintritt frei.)

Text von Edda Rössler
Veröffentlicht in Frankfurter Neue Presse am 7. Oktober 2025