May we criticize a critic? Yes, we may!!!
Meine Glosse ist im Montez Express No 23, der Kunstzeitung der Familie Montez, erschienen. Montez Express gibt es nur analog als Print im Kunstverein Familie Montez. Herausgeber: Mirek Macke. Layout von Rainer Raczinski.

Unbeschreiblich weiblich und unerSCHÜTTErlich unterschätzt
Eine Glosse über männliche Kunstkritik, weibliche Kunst und das ewig Gestrige
Von Edda Rössler, veröffentlicht in Montez Express No 23
Kritik ist ein Handwerk. Aber wie jedes Handwerk verlangt es Werkzeug, Können und bisweilen Haltung. Letzteres lässt die Kunstkritik eines geschätzten Kritikers vermissen. In seiner Rezension zur Ausstellung „Summit of Beauty and Love“ in der Frankfurter Heussenstamm Galerie schrieb er lapidar: “Alles schon gesehen, alles bekannt, keine Überraschung.“
Das betrifft wohlgemerkt eine Ausstellung von acht renommierten Künstlerinnen, alle im Netzwerk FRANK* vertreten, die sich mit dem ebenso wandelbaren wie widersprüchlichen Konzept von Weiblichkeit auseinandersetzten. Vielleicht hätte es dem Kritiker mehr gefesselt, wären nackte Musen auf Sofas gelegen?
Da sei die Frage erlaubt, wäre es eine Gruppenschau von acht MÄNNLICHEN Künstlern gewesen, hätte man dann ähnlich säuerlich konstatiert, man kenne die Positionen seit Studientagen? Hätte man Werke von Picasso, Monet oder Bayrle mit dem Urteil abgetan, sie seien „nicht überraschend“, weil deren Handschrift sich auf den ersten Blick darstelle?
Männer dürfen bekannt sein, das nennt man dann „Positionierung“. Frauen hingegen müssen sich stets neu beweisen, am besten mit jeder Ausstellung gleich neu erfinden. Denn wo ein Mann als „konsequent“ gilt, ist eine Frau schnell „redundant“.
Was sich hier zeigt, ist leider kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Symptom. Ein typisches Beispiel der, nennen wir sie „male chauvinistic art-critic“, ein schleichendes Gift im Testeron-getriebenen Feuilleton. Der männliche Blick ist nach wie vor Norm, das Weibliche Abweichung. Susan Sontag brachte es einst prägnant auf den Punkt: „Die Frau wird in unserer Kultur stets als Bild betrachtet, der Mann als Betrachter des Bildes.“ Was folgt, ist eine doppelte Marginalisierung: Künstlerinnen werden nicht nur seltener gezeigt, sie werden auch anders, gönnerhafter, nachsichtiger oder herablassender besprochen.
Dabei führte uns nachgerade die Ausstellung „Summit of Beauty and Love“ vor, wie weibliche Identitäten in einem postmodernen Kanon aufbrechen, sich dekonstruieren, sich neu behaupten. Die Künstlerinnen des Netzwerks FRANK*, von Julia Roppels poetischer Erinnerungstopografie bis zu Justine Ottos Reflexion von Rollenbildern, operieren nicht in der Pose, sondern in der Position. Ihre Bildsprachen sind komplex, reflektiert, handwerklich exzellent. Was sie untersuchen, ist nicht das Klischee von „Frauenkunst“, sondern das klischierte Bild, das man sich über Jahrhunderte von Weiblichkeit gemacht hat und das offenbar noch immer in einigen Köpfen spukt.
„Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht“, schrieb Simone de Beauvoir 1949. Wie recht sie hatte und wie wenig sich daran geändert hat, wenn Kritiker heute noch implizit die alte Dreifaltigkeit von „Kinder, Küche, Kirche“ als Referenzfolie bemühen, um künstlerische Positionen zu bemessen. Was man der Ausstellung zum Vorwurf macht, “dass sie kein einheitliches Bild von Weiblichkeit liefert“, ist in Wahrheit ihre Stärke. Denn Weiblichkeit ist heute plural, widersprüchlich, hybrid. Sie passt nicht mehr in die klassischen Rahmen des Kritikerblicks. Und genau das scheint die eigentliche Kränkung zu sein.
Wenn Kunst irritiert, dann ist das nicht ihr Fehler, sondern ihr Auftrag. Und manchmal, ganz selten nur, darf auch ein Kritiker dazulernen.