Von Frankfurt aus hat sie Maßstäbe gesetzt: Anita Beckers, die international angesehene Galeristin und eine der wichtigsten Protagonistinnen der Medienkunst, ist im Alter von 78 Jahren überraschend verstorben. Ihre Galerie war über Jahrzehnte hinweg ein Leuchtturm für die künstlerische Avantgarde.

Frankfurt am Main verliert mit dem Tod von Anita Beckers eine prägende Gestalt seiner Gegenwartskunst. Über Jahrzehnte hinweg hat sie mit unermüdlichem Engagement Künstler gefördert, Debatten angestoßen, Perspektiven geweitet. Nun ist sie, wie aus dem Umfeld der Galerie bestätigt wurde, infolge einer unerkannten Sepsis in einem Darmstädter Krankenhaus vor wenigen Tagen gestorben. Ein plötzlicher, tragischer Abschied: „Sie hat noch auf der Intensivstation To-Do-Listen geschrieben“, berichtet Galeriedirektorin Nina Mößle.
Beckers galt als Pionierin der Videokunst. Schon Ende der 1980er-Jahre begann sie, Editionen zeitgenössischer Künstler herauszugeben, und war mit diesen auf der Art Basel präsent, in einer Zeit, in der Video noch kaum als gleichwertiges Medium innerhalb des Kunstmarkts wahrgenommen wurde. Mit der Gründung ihrer eigenen Galerie formte sie ein dezidiert medienkünstlerisches Programm, das neue Standards setzte. 1998 zog sie mit dem ambitionierten Vorhaben in die Frankfurter Frankenallee, in einen zweigeschossigen Ausstellungsraum mit einem idealen, lichtdichten Untergeschoss für Videoprojektionen.
Es war ein programmatischer Schritt, ein künstlerisches Manifest: oben Gemälde, unten Videos. „Das war das perfekte Territorium für die Videokunst“, erinnert sich Mößle. 2015 folgte der Umzug in die Braubachstraße in der Frankfurter Altstadt und damit begann eine neue Ära mit internationaler Ausstrahlung.
Die Initialzündung für ihre Leidenschaft zur Videokunst kam durch ein persönliches Schlüsselerlebnis. „Als sie das erste Videokunstwerk sah, hat sie sofort Feuer gefangen“, so Mößle. Es faszinierte sie, „wie Künstler mit den Mitteln der Zeit auf die Zeit blicken“. In dieser Haltung lag das Ethos ihrer kuratorischen Praxis: Kunst als Spiegel und Katalysator gesellschaftlicher Prozesse.
Beckers vertrat zahlreiche Künstler, deren Werke heute zu den bedeutendsten ihrer Gattung zählen. Anton Corbijn etwa, von Beckers früh als ernsthafter Künstler jenseits des Pop-Images erkannt; Annegret Soltau, mit der sie seit den 1970er-Jahren eine intensive Zusammenarbeit verband; oder Urs Lüthi, Marcel Odenbach, Bjørn Melhus und viele weitere, die sich mit Fragen der Identität, Körperlichkeit und medialen Wirklichkeit auseinandersetzen. Anita Beckers identifizierte diese Themen vorausschauend als Kernpunkte der Gegenwartskunst.
Sie war nicht nur Galeristin, sondern eine Netzwerkerin mit Weitblick. Mitinitiatorin der Interessensgemeinschaft Frankfurter Galerien, treibende Kraft hinter dem jährlichen Saisonstart, langjährige Kuratorin der B3 Biennale, Beckers hat Frankfurt nachhaltig geprägt. „Sie hat immer dafür gekämpft, dass diese Stadt auch als Kunststadt sichtbar bleibt“, betont Mößle. Ihre Handschrift war nicht nur konzeptionell, sondern zutiefst menschlich. Für viele war sie Mentorin, für andere eine Vertraute, wie ihre enge Mitarbeiterin rückblickend sagt: „Sie hat nie kontrolliert, sondern inspiriert, voller Vertrauen, voller Wärme“.
Ihre letzten Projekte waren, wie immer, ambitioniert: Messeteilnahmen in Paris und Köln, eine Ausstellung mit Jonas Englert, sie hinterlässt ein wohlgeordnetes Programm und es bleibt zu hoffen, dass die Veranstaltungen weitergeführt werden. „Die erste, die sich beschwert hätte, wenn alles stillsteht, wäre Anita gewesen“, sagt Mößle.
Dass sie inmitten der Arbeit, umgeben von Familie und voller Energie aus dem Leben gerissen wurde, ist tragisch. Und zugleich entspricht es dem kompromisslosen, zugewandten Wesen einer Frau, die Kunst nie als Dekoration, sondern immer als Ausdruck verstand, für das Leben selbst.
Die Galerie Anita Beckers in der Braubachstraße 9 ist ab Dienstag zu den üblichen Galerienzeiten geöffnet. Dort werden Blumen und Kondolenzbriefe entgegengenommen. Eine öffentliche Trauerfeier ist für den Herbst geplant.
Kollegen-Stimmen zum unerwarteten Tod von Anita Beckers
Galeristin Barbara von Stechow

Foto: Edda Rössler
„Sie war mutig, immer neugierig und voller Ideen. Stets auch engagiert für die Gemeinschaft der Frankfurter Galeristen, wie zuletzt das erfolgreich Kunstprojekt „House of Galleries“ zeigte. Sie hinterlässt eine riesen Lücke und fehlt uns allen!“
Galeristin Heike Strelow

Foto: Edda Rössler
„Ich erinnere mich noch gut an meine erste Begegnung mit Anita Beckers, damals war ich noch Studentin in Bonn. Schon damals habe ich sie als eine außergewöhnlich positive und zugewandte Persönlichkeit erlebt: voller Energie, voller Ideen, voller Leidenschaft für die Kunst und die Menschen, die sie schaffen. Diese Haltung hat sie ihr Leben lang ausgezeichnet – und so auch, als ich sie später als Kollegin in der Galerienszene wiedererlebt habe. Anita Beckers war eine wichtige, kritische Stimme in unserer Galeriengemeinschaft und sie wird uns – und auch mir persönlich – sehr fehlen.“
Galerist Peter Sillem

Foto: Victor Hedwig
„Anita Beckers war ein Gravitationszentrum der Frankfurter Kunstszene und weit darüber hinaus. Sie verstand es in ihrer warmherzigen Art auf einzigartige Weise, Menschen miteinander zu verbinden und für die gemeinsame Sache zu werben. Und immer ging eine unglaubliche Energie von ihr aus, die beflügelnd wirkte. Nicht zuletzt war sie die Mentorin vieler Menschen, die später zu zentralen Figuren in der Kunstwelt geworden sind.“
Text von Edda Rössler, veröffentlicht am 4. August 2025 in Frankfurter Neue Presse