Zwei Ausstellungen bei Hübner + Hübner
Traditionell präsentiert das Galeristen-Duo Astrid und Ernst Hübner eine Doppel-Ausstellung. Wie bei einem guten Essen mit den passenden Weinen, kann man dann dafür plädieren, dass die eine Seite der Kunst die andere „ummantelt“. Oder aber einen entschiedenen Kontrapunkt setzt. Bei dem aktuellen Zweigespann Dieter Mammel und Tim Kerr kann man jedoch mit Fug und Recht behaupten: Beide Positionen haben nichts miteinander zu tun. Aber beide Ausstellungen lohnen den Besuch.
Lifeline – Dieter Mammel
Seit 20 Jahren vertritt die Galerie Hübner + Hübner den Künstler Dieter Mammel. Noch immer haftet jeder Ausstellung eine knisternde Atmosphäre an. “Seiner besonderen Technik ist er treu geblieben”, sagt Ernst Hübner. “Aber seine Themen sind immer wieder neu und nahe am Puls der Zeit.“
Die großen Themen bei Dieter Mammel sind derzeit Flucht und Vertreibung sowie deren Auswirkungen auf die menschliche Psyche. Das beschäftigt ihn aufgrund der aktuellen politischen Situation seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine, ist zudem eine persönliche Herzensangelegenheit. Denn die Familie des Künstlers stammt ursprünglich aus Timisoara/ Rumänien und musste im zweiten Weltkrieg aus der Heimat fliehen. Im Sommer begegnete der Künstler den historischen Flucht-Stationen mit seinen Ausstellungen in namhaften Museen in Rumänien, in Serbien bis hin zum Zentralmuseum nach Ulm, dem Zielort des Fluchtwegs der Familie. „Das war sehr bewegend“, erinnert er sich.
Eigens für die Lifeline-Ausstellung in Frankfurt hat er über 15 zumeist großformatige Werke mitgebracht, in denen zwar immer noch die Dichotomie von Hell und Dunkel dominiert, aber so allmählich halten ein versöhnliches Licht und leicht pastellfarbene Einschübe Einzug in sein Ouevre. Dabei fasziniert, wie treffsicher Mammel seine Motive auf die Leinwand bannt. Denn seine Technik, er trägt in Nasstechnik Tusche auf die liegende Leinwand auf, favorisiert das Verschwommene, doch Mammel ringt um die präzise Darstellung, die er punktgenau landet. Dennoch signalisieren seine Werke, dass es um mehr als bloßes Abbilden geht. Wie im verwunschenen Märchen durchschreitet man seine Schneelandschaften oder fängt an, mit den dargestellten Krähen auf Oberleitungen Zwiesprache zu halten. Seine Werke sind Einladungen in Traumwelten und greifen Archetypen auf, die vertraut sind. So kann man durchaus den sich im Schnee schlängelnden Weg für eine Nabelschnur halten. Mag seine Suche nach der Vergangenheit nicht mehr im Mittelpunkt stehen, eines bleibt klar: Die künstlerische Reise bleibt spannend.
Tim Kerr – ein wahrer Beatnik
Humorvoll und zielsicher, so stapft der US-amerikanische Künstler Tim Kerr mit Wohnsitz in Austin/ Texas durch die Galerieräume. In der benachbarten Villa ist seiner farbenprächtigen Malerei „We Are All Making History“ gleich eine ganze Etage gewidmet. Die Porträts von Musikern, Schauspielern oder auch einfach „Menschen wie Du und Ich“ sind mit lockerer Hand gezeichnet, wie ein leichter Rhythmus ins Blatt gekratzt, und die Farbe sorgt für die Melodie. Der Künstler mit der Doppelbegabung des Malers und des Musikers war damit noch nicht zufrieden. Zitate, Worthülsen durchwehen die Blätter und sorgen wie bei einer Jam Session für zusätzliche Abwechslung.
In seinem Schaffen gibt es Bezüge zu der Beat Generation und ihren Protagonisten wie Allen Ginsberg, William S. Burroughs oder Jack Kerouac. Sie alle, die sich ihrer spontanen Eingebung überließen und eine automatische, nicht durch den Verstand zensierte Schaffensweise favorisierten, waren auf der Suche nach Sinn und Erlösung aus einer Welt, die ihnen das konservative und konsumorientierte Amerika der 50ziger Jahre nicht geben konnte. So war etwa Jack Kerouac ständig „on the road“, unterwegs zu Abenteuern. Genauso muten die Porträts von Tim Kerr an. Er sucht und fängt in jeder künstlerischen Begegnung das Außergewöhnliche, die Seele seines Gegenübers. Dabei geschieht das alles durchaus mit viel Temperament und guter Laune. „Diese Menschen hier“, sagt Kerr, „unabhängig, ob sie Stars waren oder nicht, verfolgten ihren Weg. Sie taten ganz einfach das, was sie tun mussten.“ Diese Konsequenz hat ihn beeindruckt. Am liebsten porträtiert er Menschen, die er nicht kennt. „Da nimmst Du nicht so viel Gepäck mit.“ Stets haben wir den Eindruck, dass wir dabei waren, als er seine Modelle interviewte und auf das Papier bannte. Wer weiß, welch tiefgreifenden oder zuweilen auch lustigen Geschichten und Gespräche zum Bild entstanden.
Egal, für welches Porträt man sich entscheidet, eins ist sicher: Wir werden den Dialog anschließend an Künstlers Statt zuhause weiter verfolgen. Immer wieder neu. Dazu empfiehlt sich ein guter Blues- oder Punksong, vielleicht sogar aus der Feder von Tim Kerr.
Übrigens: Die wunderbaren Porträts Tim Kerrs sind zur Zeit noch preislich erschwinglich.
Beide Ausstellungen „Lifeline“ von Dieter Mammel und „We Are All Making History“ von Tim Kerr sind noch bis zum 8. November zu sehen. Weitere Informationen unter www.galerie-huebner.de
Text und Fotos von Edda Rössler
Veröffentlicht am 30. Oktober 2024 in Frankfurter Neue Presse