Kunst zwischen Mythos, Politik und Abstraktion

Foto: Edda Rössler
Galerist Peter Femfert widmet dem Ausnahme-Künstler André Masson (1896 – 1987) eine mittlerweile sechste Einzel-Ausstellung. Sie beleuchtet das vielseitige Werk des Surrealisten, der zu den einflussreichsten Künstlern des 20. Jahrhunderts zählt. Dabei kommen unterschiedliche Werkphasen zur Geltung. Arbeiten aus den 30ziger bis hin zu den 70ziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts bespielen die Galeriewände. Kuratorin Elke Mohr hebt hervor, dass der „unkonventionelle Surrealist“ zudem ein politisch höchst engagierter Künstler war. Bedeutende Werke Massons kommentieren und verurteilen Zeitgeschehen. Diese Auseinandersetzung bildet einen Eckpfeiler der Schau, die neben Ölgemälden, Skulpturen auch Lithografien zeigt.
Ein beeindruckendes Beispiel für Massons kritische Kunst ist die Karikatur „Le Bon Européen“, eine Tintenzeichnung auf Papier aus dem Jahr 1939, die die Verflechtung von Klerus und Faschismus anprangert. Mit dem in der Ausstellung an zentraler Stelle platzierten, großformatigen Gemälde „Oradour“ (1944) erinnerte er an das Massaker der Waffen-SS im französischen Ort Oradour-sur-Glane, bei dem weit über 600 Menschen ermordet wurden. Das Werk, das das Gesicht eines auf dem Boden liegenden Opfers zeigt, bezieht sich auf das gleichnamige Gedicht seines Schriftsteller-Freundes Louis Aragon. Der hier zum Ausdruck gebrachte Schmerz brennt sich dem Betrachter wie ein Fanal unvergesslich in die Seele. „Wir haben den Auftrag, das bahnbrechende Gemälde nicht an Privatpersonen, sondern an ein Museum oder eine andere staatliche Institution zu verkaufen“, informiert Peter Femfert.
„Massons demokratisches und antifaschistisches Verständnis zieht sich wie ein roter Faden durch sein Schaffen“, so Elke Mohr. Die zur Vernissage aus Paris angereiste Enkelin Sonia und Sohn Diego Masson erinnern, wie wichtig dem Maler Haltung zu gesellschaftlichen und politischen Fragen war: „Er verurteilte Faschismus, die Unterdrückung politischer Meinungsfreiheit, Kriege und Kolonalisierung.“
Die Ausstellung offenbart die ästhetische Bandbreite Massons, der die Bandbreite des Surrealismus auslotete. Er entwickelte einen unverkennbar eigenen Stil, den er in verschiedenen Techniken und Stilen Ausdruck verlieh. Mit Gemälden wie dem ikonischen „Le Peintre“, eine skizzenhaft dargestellte, zur Faust geballten Hand mit Federn und Vogel, oder dem mit wunderbar lockeren Pinselstrichen auf die Leinwand geworfenen Porträts des Kirsche essenden Jungen, Sohn Diego stand seinerzeit Modell, steht er stilistisch in der Nähe zu den Fauves und zu Henri Matisse.

Foto: Edda Rössler
Masson war einer der ersten Künstler, der die surrealistische Technik des Automatismus anwendete. Unkontrolliert sollte sich das Unterbewusstsein beim Schaffensprozess behaupten. Diese Technik verband er mit experimentellen Materialien wie Sand, Leim und Pigmenten, um eine organische Textur zu erzeugen. Damit wurde er zur Inspiration der damals jungen amerikanischen Künstlergarde wie Jackson Pollock oder Arshile Gorky. Sie gelten als Protagonisten des abstrakten amerikanischen Expressionismus, einer Kunstrichtung, die als erste originär amerikanische verstanden wurde. Für die mitenthaltene Prise Europa sorgte Masson.
Überhaupt wandte sich Masson im späteren Verlauf seines Schaffens zunehmend der Abstraktion zu, ohne dabei seinen philosophischen Tiefgang zu verlieren. „Er war ein Künstler, der sich immer wieder neu erfand, ohne seine Überzeugungen zu kompromittieren“, so die Kuratorin. Seine lebenslange Liebe galt der Literatur, insbesondere der deutschen Romantik.
„Ich fühle mich zuhause mit dieser Ausstellung, die den Lebensweg meines Vaters wunderbar wiedergibt“, sagt Diego Masson (1935), selbst Künstler. Er entschied sich allerdings für die Musik und wurde ein bedeutender Dirigent. Frankfurt kennt er gut, schon seit der Zeit, als das Konzerthaus „Alte Oper“ 1981 mit einem feierlichen Festakt eröffnet wurde. „Damals dirigierte ich das Eröffnungskonzert“, erinnert er sich.
Humorvoll, listig und keck, auch das war André Masson, berichten Enkelin und Sohn. Selbst im hohen Alter, als er nicht mehr eigenständig laufen konnte, wurde ihm täglich Champagner serviert. Wurde der einmal vergessen, wies er mit einem charmanten Lächeln und dem dezenten Hinweis daraufhin. „An einem so schönen Tag könnte man doch ein Gläschen Champagner trinken“, sagte er mit einem Augenzwinkern.
Der Sitte kann sich der Kunstfreund, nachdem er die sehenswerte Ausstellung besucht hat, anschließen und einen Toast auf André Masson aussprechen.
Die Ausstellung „Andre Masson: Das Gedächtnis der Welt“ in Die Galerie ist noch bis zum 20. Februar geöffnet. Weitere Informationen unter https://die-galerie.com.
Text und Fotos von Edda Rössler
Veröffentlicht am 17. Januar 2025 in Frankfurter Neue Presse