Der Fährmann rudert mit dem Mond – Bronzen und Zeichnungen von Michael Jastram im Kunstraum

Was bewegt einen waschechten Berliner aus der Hauptstadt an die Nordsee zu ziehen? Die Antwort auf diese Frage geben die neuen Bronzen und Zeichnungen des Künstlers Michael Jastram (1953) im Kunstraum Bernusstraße. Dort präsentiert der Bildhauer herrliche Plastiken, Barken mit begleitendem Personal. Das Schweben auf dem Wasser, das unbeschwerte Gleiten auf Wellen inszeniert er mit dabei so behände als würde eine Ballerina über einen Schwebebalken tanzen. Begleitende Zeichnungen, die oft skizzenartig wirken, unterstreichen sein Talent, mit wenigen Strichen Figuration und Räumlichkeit zu erzielen.

Der Künstler Michael Jastram zusammen mit seiner Galeristin Marina Grützmacher vor der Bronze „La Grazia sulla Barca“ Foto: Edda Rössler
Der Künstler Michael Jastram zusammen mit seiner Galeristin Marina Grützmacher vor der Bronze „La Grazia sulla Barca“
Foto: Edda Rössler

Immer auf dem Weg sein, so empfindet er sein künstlerisches Schaffen. Genau wie seinerzeit die Beatniks, über die Jack Kerouacs Bestseller „On the road“ berichtete. Entzückten Berggipfel die Anhänger der Beatgeneration, so fühlt sich Jastram vom Meer inspiriert. Ganz in der Nähe Niebülls an der äußersten Grenze zu Dänemark, einem weiteren Schauplatz der Literatur, in dem die „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz spielt, fand er 2020 seinen Kraftort.

„Ich habe über 20 Jahre lang Karren entworfen, jetzt kommen die Wasserwege dazu“, sagt er lakonisch. Viele der im Kunstraum Bernusstraße ausgestellten Arbeiten sind neu. Sind die Boot-Installationen im Atelier über zwei Meter groß, funktionieren sie hier auch in der kleineren Version, knapp unter einem Meter. Auf an Waagschalen erinnernde Boote montiert er Frauenfiguren, Pferde oder auch schon einmal einen Fährmann mit Mond und kreiert damit kleine Erzählungen. „La Grazia sulla barca“ etwa zeigt eine Reiterin auf einem Pferd. Obwohl doppelte Bewegung, Reiten und auf dem Meer gleiten, erscheint alles im Gleichgewicht. Falls ein unvorhergesehener Wellenbrecher die Harmonie stören sollte, legt die Grazie vorsorglich ihren Arm auf das Tier, um es zu beruhigen. Das Stilmittel der Justierung entdeckt man oft bei Jastram, er baut Bewegung und Spannung auf, die immer wieder durch Gesten oder Requisiten seiner Figuren ins Lot gebracht werden. In dieser Welt besteht ein Grundvertrauen, dass sich die Dinge gut entwickeln.

Bei der Bronze „Fährmann und Mond“ gesellt sich zudem eine Prise Humor hinzu. In Anlehnung an das ikonische Bild des Mannes im Mond steht eine mit einem Paddel ausgestattete Figur auf der Barke, eingebettet in einer kugelrunden Scheibe. Wo auch immer die Reise hingeht, ein beschützender Mond ist mit an Bord.
Tristesse liegt dem Künstler fern. Insbesondere die Frauengestalten wirken selbstbewusst und voller Zuversicht. „Starke und stolze Frauen“ stellt er dar, das ist ihm wichtig. „Ich habe nie Skulpturen mit traurigen Frauen entworfen.“

So filigran und grazil die Bronzen wirken, dahinter verbergen sich vielschichtige, genau definierte Arbeitsprozesse. Sie alle folgen einem festgelegten Ritual und bis zur Fertigstellung einer Skulptur kann es durchaus schon einmal zwei Jahre dauern. „Erst sind es Skizzen und dann kommt die Arbeitsskizze.“ Mit ihr geht er eine befreundete Schlosserei, in die „Friesenschmiede“, die das Grundgerüst der Bronze entwirft. „Hier muss Stahldraht entwickelt werden, denn meine Arbeiten sind filigran.“ Es folgt die Gipsaufbereitung und dann erst wird das Werk in die Gießerei gebracht. Über das sogenannte „Wachsaus-schmelzverfahren“ wird anschließend Bronze gegossen. Zudem bespricht er die Farbgebung mit der Gießerei. Wichtig ist ihm dabei auch, dass die Farbe eine künstliche Alterung signalisiert. Seine Plastiken beschäftigen sich mit Mythen und Sagen, da würden Popfarben stören. „Die Rezeptur des säurehaltigen Farbmixes behält jede Gießerei für sich“, verrät er. Doch Experten könnten aufgrund des Farbtons die Gießerei erkennen.

Egal, ob Experte oder Laie: Genuss an der Kunst von Michael Jastram in der aktuellen Ausstellung Kunstraum Bernusstraße haben beide.

Die Ausstellung „Auf dem Weg“ ist noch bis zum 16. Juli geöffnet.

Weitere Informationen unter kunstraum-bernusstrasse.de

Text und Foto von Edda Rössler
Veröffentlicht in Frankfurter Neue Presse am 22. Juni 2022