Poetischer Kosmos

Stickerei, Symbolik und Surrealismus im Nebbienschen Gartenhaus

Weegee Weegee - Stickerei, Symbolik und Surrealismus im Nebbienschen Gartenhaus Foto: Edda Rössler
Weegee Weegee – Stickerei, Symbolik und Surrealismus im Nebbienschen Gartenhaus
Foto: Edda Rössler

Noch eine ganze Woche lang verwandelt sich das charmante Nebbienische Gartenhaus in ein Hexenreich. Verantwortlich dafür ist die Frankfurter Künstlerin Ariane Severin alias „WeegeeWeegee“, die in mehreren Ländern zuhause ist. Sie studierte Bildende Kunst, Kunstgeschichte und absolvierte ein Masterstudium in Fotografie an der University of the Arts in London. Heute lebt sie zwischen Frankfurt, Athen und der kleinen Vulkaninsel Nisyros in der Ägäis, ein Lebensentwurf zwischen Metropole, Mythos und mediterraner Melancholie, der auch in ihrem Werk spürbar wird.

Jahreszeitlich passender hätte ihr künstlerischer Auftritt mit der Ausstellung „Traumwelten“ kaum inszeniert werden können: Herrlich bunte Stickereien zieren ihre oft auf Flaggenstoffen dargestellten Fabelwesen, Pflanzen und Zauberzeichen. Clowns, Glücksbringer, Feen und wilde Fantasieblumen strahlen dem Publikum entgegen. Zwischen der prallen Frühlingsfauna der Bockenheimer Anlage und den textilen Traumlandschaften im Innern des Gartenhäuschens entfaltet sich ein inspirierendes Wechselspiel von Natur und Imagination, von Ornament und Bedeutung.

„Ich möchte nicht belehren“, sagt die Künstlerin. „Ich will dazu einladen, innerlich zu reisen, wie im Surrealismus. Es geht darum, sich Flügel wachsen zu lassen.“ Ihre Inspirationsquellen liest man nicht nur aus den Arbeiten heraus, sie benennt sie auch ganz direkt: Salvador Dalí, Max Ernst, vor allem aber Leonora Carrington, „die größte unter den surrealistischen Künstlerinnen und eine faszinierende Frau.“

Viele Arbeiten haben etwas Märchenhaftes, doch nie im Sinne bloßer Flucht aus der Realität. Es geht um Transformation. Um das Sichtbarmachen innerer Zustände, um poetische Widerstandskraft. Bereits 2014 begann Severin, ihre frühere dokumentarische Fotografie hinter sich zu lassen und sich surrealen Collagen zu widmen. Der Schritt war so grundlegend, dass sie ihren Künstlernamen zu WeegeeWeegee änderte.

In Frankfurt präsentiert sie nun unter anderem ihre Serie „Flags of Hope“ – Stickereien auf gedrucktem Flaggenstoff, basierend auf gescannten, originalen Signalflaggen aus der Seefahrt. „Jede Flagge steht für einen Buchstaben“, erklärt sie. „Früher haben Schiffe auf diese Weise kommuniziert, teilweise mit Botschaften wie ‚Help‘. Ich habe diese Zeichen umfunktioniert. Sie senden jetzt Hoffnung.“ Es sind Schutzzeichen, kleine Talisman-Botschaften, geboren aus alten Codes und neuem Sinn.

Die Idee dazu kam ihr auf ihrer Insel, als sie die alten Frauen beim Sticken beobachtete. „Als Teenager habe ich gestickt und dann irgendwann damit aufgehört. Aber dort habe ich wieder damit angefangen. Ich habe gemerkt, dass ich mit Nadel und Faden genau das ausdrücken kann, was ich sonst mit Fotografie versucht habe: Collage, Erinnerung, Transformation.“

So entstehen Bilder, die träumerisch und verspielt wirken und zugleich handwerklich und gedanklich tief verankert sind. In einer Serie kombiniert sie beispielsweise alte Familienfotos vom Flohmarkt mit Stickereien. „Manche davon wirken wie aus der hessischen Provinz, mit ihren sonntäglich gekleideten Leuten. Ich habe daraus kleine, humorvolle Ahnenreihen gemacht – mit Feenflügeln und Blumenranken.“ Die Serie nennt sie „Heimatkunde“.

Ein weiteres Highlight der Schau ist ihre persönliche Interpretation des berühmten mittelalterlichen Gemäldes „Paradiesgärtleins“, das im Frankfurter Städelmuseum ausgestellt ist. WeegeeWeegees Version ist ebenso reich an Symbolen und floralen Details wie das Original: Lilien, Erdbeeren, Maiglöckchen, Vögel, Schmetterlinge und auch ein Drache darf nicht fehlen. „Und der Vulkan natürlich, der begleitet mich immer.“

In ihrer poetischen Bildsprache trifft kunsthistorisches Wissen auf persönliche Ikonografie. Ihre Arbeiten sind nie dekorativ im oberflächlichen Sinn, sondern vielschichtig – oft auch augenzwinkernd. Dass sie gerne an ungewöhnlichen Orten ausstellt, ist da nur folgerichtig: In einem viktorianischen Herrenklo in London, in einem Nachtclub im Frankfurter Bahnhofsviertel oder in einer barocken Kapelle in Palermo.

„Ich will Räume finden, die das verstärken, was ich ausdrücken möchte. Das Gartenhäuschen ist dafür mit seiner Architektur, seiner Lage im Grünen, seinem Licht ideal.“ Dass sie es durch Zufall beim Spazierengehen entdeckte, passt zum Gesamtkonzept ihrer Kunst: Intuition, Begegnung, Resonanz.

Wer also Lust hat auf eine Reise durch textile Traumwelten, auf sanfte Magie zwischen Nadel, Farbe und Fabel, der sollte sich dieses Hexenreich im Herzen Frankfurts nicht entgehen lassen.

Die Ausstellung „Traumwelten“ im Nebbienischen Gartenhaus ist noch bis zum 6. April geöffnet. Einlass jeweils ab 12 Uhr.

Text und Foto von Edda Rössler
Veröffentlicht am 31. März 2025 in Frankfurter Neue Presse