Rhinozeros im Resonanzraum – Zur Ausstellung von Bernd Fischer in der Ausstellungshalle 1A

Bernd Fischer war Meisterschüler bei Michael Croissant an der Städelschule, lehrte später selbst über viele Jahre Aktzeichnen an der Frankfurter Abendschule. Er hat gelernt, zu sehen. Und noch mehr: sich sehen zu lassen vom Motiv. Foto: Edda Rössler
Bernd Fischer war Meisterschüler bei Michael Croissant an der Städelschule, lehrte später selbst über viele Jahre Aktzeichnen an der Frankfurter Abendschule. Er hat gelernt, zu sehen. Und noch mehr: sich sehen zu lassen vom Motiv.
Foto: Edda Rössler

Selbst aus der Ferne ist ein Nashorn schwer zu übersehen. Es gilt als Symbol des Urzeitlichen, des Unverstandenen, aber auch des Bedrohten. In den Zeichnungen des Offenbacher Künstlers Bernd Fischer (1954) hingegen erscheint es beinahe still, verletzlich, individuell und zärtlich. Seine selbst kuratierte Werkschau in Robert Bocks Ausstellungshalle 1 A gibt eine umfassende Übersicht über Fischers Schaffen der letzten drei Jahrzehnte. Doch im Zentrum steht ein stilles, monumentales Kapitel, seine „Nashorn-Bilder“. Sie entstanden zwischen 2009 und 2012 im Frankfurter Zoo.

Dort begegnete Fischer den Nashörnern „Kalusho“ und „Tsororo“ nicht als Tierfreund, sondern als Zeichner. „Ich bin hingegangen, weil mir das Spaß gemacht hat zu zeichnen“, erinnert er sich. „Es war eigentlich nur für mich selbst. Ich habe das gemacht, ohne eine Ausstellung in Aussicht zu haben.“ Eine Haltung, die sich durch sein gesamtes Werk zieht. Beobachtung statt Konzept, Nähe statt Narrativ. Die Kunst entsteht aus der Erfahrung, nicht umgekehrt.

Die Tierzeichnung war da schon längst Teil seines Repertoires. Ein Winter lang zeichnete er Leguane, dann Webervögel, schließlich Zwergtaucher. Die Wahl der Tiere erfolgte intuitiv, ebenso die Wahl des Blickwinkels. Doch mit Kalusho und Tsororo geschah etwas anderes. Aus regelmäßigen Besuchen wurden Jahre. „Ich ging meistens zwei- bis dreimal die Woche in den Zoo und zeichnete eineinhalb bis zweieinhalb Stunden“, berichtet er. Die Tiere wurden zu Gegenübern, ihre Unterschiede im Verhalten und Ausdruck spürbar. „Irgendwann schrieb ich nicht mehr ‚Nashorn‘, sondern ‚Kalusho‘ oder „Tsororo“ auf die Rückseiten meiner Zeichnungen.“

In den Arbeiten ist dieser Wandel deutlich zu spüren. Der Strich wird freier, die Flächen feiner moduliert, der Raum durchlässiger. Man hat nicht das Gefühl, ein exotisches Tier zu betrachten, sondern einem individuellen Wesen zu begegnen. „Ich wollte keine Fotografie, keine wissenschaftliche Abbildung, keine expressive Interpretation, keinen flüchtigen Eindruck darstellen“, sagt Fischer. „Ich wollte mir durch das Anschauen der Tiere ein Bild von ihnen machen.“ Ein Satz, der das Ethos dieser Kunst auf den Punkt bringt.

Das Nashornhaus im Frankfurter Zoo, architektonisch eher ein Zweckbau, wurde ihm zu einem Ort kontemplativer Verdichtung. „Ich war oft der einzige Mensch im Raum gewesen“, sagt er. „Und hörte immer mehr, während ich zeichnete.“ Spatzen flogen durch das Haus, Flusspferde tröteten, Besuchergruppen rauschten durch. Der Raum wurde zum Resonanzraum, akustisch, atmosphärisch, existenziell. „Ein Zoo jenseits von intellektuellem Wissen.

Seine Ausstellung folgt Fischers Idee einer „nicht linearen“ Werkschau. „Mir war wichtig, über die verschiedenen Werkabschnitte, die sehr heterogen sind, Ausschnitte zu zeigen“, sagt er. „So, dass man, obwohl das so verschieden ist, einen roten Faden spürt.“ Neben den Tierzeichnungen sind auch abstrahierte Landschaften und radiologische Bildmotive zu sehen. Doch der Fokus liegt klar auf dem Nashorn als künstlerischer Fixstern, als Ort der konzentrierten Wahrnehmung.

Im Jahr 2012 mündete Fischers zeichnerisches Nashorn-Projekt in eine große Herausforderung. Ein Auftraggeber bestellte eine lebensgroße Glasmalerei eines Rhinozeros. Inspiriert durch Jean-Baptiste Oudrys barockes Nashornporträt „Clara“ aus dem Jahr 1749 malte Fischer seine Zoo-Lieblings Kalusho und Tsororo frontal und im Profil auf Sicherheitsglas. Auch die Herstellung war aufwendig, erinnert er sich. In einer eigens dafür eingerichteten Werkstatt malte er die Tiermotive auf die am Boden liegenden Glasplatten mit der Keramikfarbe Schwarzlot. Fischer nennt es rückblickend eine „schöne Herausforderung“, die das Verhältnis zu seinen tierischen Modellen veränderte, weg vom reinen Tête-à-Tête, hin zur finalen Verdichtung.

Die Ausstellung von Bernd Fischer: Sterne so hoch – Erde so nah, Malerei, Zeichnung, Druck / 1997-2024“ ist noch bis zum 4. Mai 2025 geöffnet. Ausstellungshalle 1 A, Schulstraße, Frankfurt – Sachsenhausen
www.ausstellungshalle.info

Begleitend zu der Ausstellung lädt die Ausstellungshalle 1 A am 29. April, Beginn 19 Uhr, zum Gespräch „Tiere sehen“ mit dem Künstler und Roland Borgards, Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Goethe Universität Frankfurt, ein.

Text und Foto von Edda Rössler
Veröffentlicht am 24. April in Frankfurter Neue Presse