Verhüllte Wahrheiten – Der vietnamesische Maler Nguyen Xuan Huy in der Frankfurter Galerie Rothamel

Wenn Blicke töten könnten! Nguyen Xuan Huy und Galerist Jörk Rothamel im Bann der modernen Medusa, ganz ohne zu versteinern. Foto: Edda Rössler
Wenn Blicke töten könnten! Nguyen Xuan Huy und Galerist Jörk Rothamel im Bann der modernen Medusa, ganz ohne zu versteinern.
Foto: Edda Rössler

Nguyen Xuan Huy malt Körper. Und Geschichten. Doch seine Frauenakte, seine Spiegelmotive, seine Szenerien voller Folien, Luftballons und leerer Bilderrahmen haben mehr mit europäischer Kunstgeschichte und vietnamesischer Biografie zu tun als mit dekorativer Provokation. Die Ausstellung in der Galerie Rothamel zeigt eindrucksvoll, wie der in Hanoi geborene und in Berlin lebende Künstler klassische Maltradition in die Gegenwart transportiert und dabei Kunst als Narration ernst nimmt.

„Er gehört zu den ganz wichtigen Positionen in unserem Programm“, sagt Galerist Jörk Rothamel, der Huy seit über 15 Jahren vertritt. „Was mich von Anfang an begeistert hat, ist seine Virtuosität und sein Respekt vor der europäischen Malerei. Er erzählt Geschichten, mit Pinsel und Bildkomposition, so wie einst der venezianische Maler Vittore Carpaccio.“

Tatsächlich muten viele von Huys großformatigen Ölgemälden wie Tableaus an, die aus einem französischen Rokokosaal in die Gegenwart gefallen sind. Körperlich offenherzige, dabei nie schamlose Frauenfiguren posieren unter Plastikfolien, halten Luftballons oder blicken aus Spiegeln, die sich bei näherem Hinsehen als leere Rahmen entpuppen. In der Mitte ein Zitat aus der antiken Mythologie: Medusa. Doch auch diese Figur ist nicht mythologisch entrückt, sondern ganz im Heute verankert, mit Plastikperücke und frivolem Lächeln.

Geboren 1976 in Hanoi, war Huy als Kind auf sich selbst zurückgeworfen, mit drei Monaten Sommerferien, wenig Spielzeug, aber einer entscheidenden Ressource: alten französischen Kunstbänden aus der Kolonialzeit. Aus purer Langeweile begann er, Delacroix, Géricault, Boucher zu kopieren. In der Plattenbauwohnung wurden Wände zu Akademietafeln, Perspektive und Anatomie studierte der Teenager autodidaktisch.

1993 folgte Huy seiner nach Nordhausen ausgewanderten Mutter, lernte in anderthalb Jahren Deutsch, holte das Abitur nach und wurde an der renommierten Kunsthochschule Burg Giebichenstein aufgenommen. Später studierte er in Bordeaux. Heute lebt er seit über 30 Jahren in Berlin. „Vietnam ist nicht mehr meine Heimat“, sagt Huy. „Berlin ist meine Heimat.“

Seine Themen bleiben dennoch universell und politisch. Frühere Werkserien widmeten sich den beiden Traumata Vietnams: dem Kommunismus und der Vergiftung durch Agent Orange. In Prozessionen im Stil sozialistischer Festumzüge marschierten schöne, doch genetisch deformierte Frauen unter roten Fahnen. „Diese Werke waren brillant, aber schwer vermittelbar“, erinnert sich Rothamel. „Besonders im Westen verstand kaum jemand die Tiefe dieser Kritik.“

Heute spricht Huy mit seinen Gemälden eine jüngere Generation an, auch wenn sie seine Bilder sich ( noch) nicht leisten kann. „Die Instagram-Generation liebt das Storytelling“, so der Galerist.
„Sie entschlüsselt intuitiv die versteckten Gesten, die Ikonografie, auch ohne detailliertes Wissen über Mythologie oder Ikonenmalerei.“

Dabei ist der Maler selbst kein Zyniker, sondern Romantiker mit Disziplin. Jeden Morgen übt er Kung Fu im Flur seiner Berliner Wohnung, sein zweites Talent neben der Malerei. Auch seine Modelle wählt er mit Intuition: Tänzerinnen, Schauspieler, Menschen mit starker Körpersprache. Die Inszenierung auf der Leinwand ist oft theatralisch, aber nie banal.

„Ich versuche, etwas Zeitloses zu schaffen“, sagt Huy selbst. „Die Bilder könnten heute entstanden sein oder vor tausend Jahren.“ So trifft französischer Klassizismus auf urbane Gegenwart, antike Mythologie auf popkulturelles Wissen, präzise Anatomie auf plastikhafte Maskerade.

Nguyen Xuan Huy malt nicht für den schnellen Effekt. Seine Bilder laden zum zweiten Blick ein und erzählen Geschichten, die bleiben.


Ausstellung

Nguyen Xuan Huy – Medusa
Galerie Rothamel Frankfurt, Reuterweg 71
Noch bis zum 16. August
Weitere Informationen unter www.rothamel.de

Text und Foto von Edda Rössler
Veröffentlicht in Frankfurter Neue Presse am 18. Juni 2025