Autor und Fotograf Peter Seidel schildert Frankfurter Kunstjahrzehnte aus seiner Sicht
Zum Gespräch über die Broschüre zum 100. Jubiläum des Frankfurter Kulturamtes mit dem Titel „Besichtigung“ bringt der Verfasser Peter Seidel (71) gleich eine Überraschung mit. Er hat den ehemaligen Werber Bernhard Zich (74) im Schlepptau. „Bernhard hat das Layout zum Band entworfen“, sagt Seidel. Der Artdirector mit Erfolgsstationen in internationalen Agenturen freut sich, dass sein kreatives Know-how mit in den ambitionierten Band einfloss. „Manchmal war ich schon aufgeregt, ob er das mag“, erinnert sich Zich. Das Teamwork funktionierte. Beispielsweise als es um Copyright-Fragen bei einem Porträtfoto ging. Kurzerhand zeichnete Bernhard Zich stattdessen ein Porträt des ehemaligen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer.
Peter Seidel, der viele Jahre hinweg im Auftrag des städtischen Hochbauamtes Frankfurter Bauprojekte fotografierte, ist intimer Kenner der Stadt. Bekannt wurde er für seine Fotoserie „Unterwelten“, in der er sich mit künstlich geschaffenen Räumen unter der Alltagsoberfläche auseinandersetzte und Banktresore und Bunker fotografierte. Für seine aktuelle Revue über die vergangenen Jahrzehnte Frankfurter Kulturlebens hatte er sich vor allem eines vorgenommen: „Ich wollte Geschichten und Fotos voller Überraschungen präsentieren.“ Als kleine Überraschung entpuppt sich da das Kapitel über den Frankfurter Zoo, der „originellerweise in die Obhut des Kulturamtes fällt“. „Chuckwalla und andere Erdgenossen“, so sein launiger Titel. Frankfurt, das ist für ihn auch die Stadt der Bücher und durfte in seinen Schilderungen nicht fehlen, auch wenn die hiesige Welt der Literatur nicht in den unmittelbaren Wirkungskreis des Amtes fallen.
In neun übersichtlichen Kapiteln, auf über 100 Seiten, berichtet er u.a. über den Goethepreis und die Preisträger, über das städtische Schauspiel, aber auch über die vielen, kleinen Bühnen, über die Entwicklung der Paulskirche und im Kapitel „Stille Stätten für Mahnung und Gedenken“ über die Verbrechen der NS-Zeit und Fritz-Bauers Kampf für Gerechtigkeit. Ein beschwingteres Kapitel widmet er dem Jazz in der Stadt. Ins Schwelgen kommt Seidel, wenn er sich an seine Gespräche und Fotoaufnahmen mit der Jazz-Musikerin und zweifachen Gewinnerin des Frankfurter Jazzpreises, Natalya Karmazin, erinnert. „Die Pianistin, Komponistin und Bandleaderin hatte ich letzten Sommer getroffen. Dass sie Ukrainerin ist, ist reiner Zufall.“ Dabei war es nicht leicht, die Künstlerin zu einem Fototermin zu treffen. Für Seidel steht fest, sie ist eine der wenigen Frauen, die „im Jazz weit oben sind.“
Seidels „Besichtigung“ war ursprünglich als „kleines Stück konzipiert“. Doch je mehr er sich in die Vergangenheit der Frankfurter Kulturszene vertiefte, umso ambitionierter wurde er, zumal er sich dabei in einem schier unerschöpflichen Fundus eigener Aufnahmen bedienen konnte. Dass er sich bei der Fotoschau nahezu nebenbei noch zum Buchautoren entwickelte, das habe ich ihn „ungeheuer motiviert“. Genau das merkt man dem Band an. Hier schildert ein bekennender Frankfurt-Liebhaber die ungewöhnlichen, auch kantigen Ecken der Stadt, verbindet das eigene Erleben mit Zeitgeschichte und fabuliert noch dazu ebenso unterhaltsam wie anspruchsvoll.
Auch bei dem Kulturamt kamen Peter Seidels Entdeckungen gut an. „Überrascht hat uns die Detailfülle, mit der Peter Seidel sich als fotografischer, aber auch textlicher Chronist insbesondere der Nachkriegszeit und der jüngeren Vergangenheit erweist“, so Leiterin Sybille Linke. „Er hat uns als Kulturexperten noch einmal vor Augen geführt, welche Schätze die Kultur in Frankfurt birgt.“
„Besichtigung“, Peter Seidels subjektiv gehaltene Sicht auf hundert Jahre Frankfurter Kulturleben wurde vom Kulturamt im Rahmen der Künstlerförderung als eigenständiges künstlerisches Projekt unterstützt. Der Band wird ergänzt durch die „offizielle“ Broschüre des Kulturamtes „Heute, gestern, morgen“. Beide Broschüren sind auf der Website des städtischen Kulturamtes abrufbar.
Text und Foto von Edda Rössler,
am 28.10.2022 veröffentlicht in Frankfurter Neue Presse