Text und Foto von Edda Rössler, am 7. August 2020 in der Frankfurter Neuen Presse veröftentlicht
Ausgerechnet in Zeiten überbordender Bilderfluten, in denen jede Sekunde mit der Smartphone-Kamera festgehalten wird, präsentieren die Frankfurter Galeristen Daniel Schierke und Ralf Seinecke drei Fotografinnen und deren Werke. Doch wie facettenreich das Medium Fotografie ist, beweisen gerade die Positionen von Andrea Grützner, Berit Schneidereit und Lucia Sotnikova. Sie setzen einen künstlerischen Kontrapunkt zur oberflächlichen Smartphone-Fotografie.
Die in den späten 1980er Jahren geborenen Künstlerinnen sind Entdeckungen der Galerie und wurden „frisch“ von der Kunstakademie unter die Fittiche genommen. Die Galeristen mussten Überzeugungsarbeit leisten, um Kunstsammler von dem Potenzial der Newcomer zu überzeugen. „Sie wollen Gewissheit, dass es sich nicht um Eintagsfliegen handelt“, berichtet Galerist Daniel Schierke. „Schaut man sich jetzt nach fünf Jahren unsere Künstler und ihren Werdegang an, sieht man, dass wir auf die Richtigen gesetzt haben.“
Die in Berlin lebende und arbeitende Künstlerin Andrea Grützner hat sich in ihren Fotografien mit dem „Erbgericht“, einem alten Gebäude aus ihrer Heimat Polenz in der sächsischen Schweiz auseinandergesetzt. Früher wurden hier tatsächlich Urteile verkündet, heute dient es als beliebter Gasthof. Noch immer ranken sich um das „Erbgericht“ viele Mythen, die Grützner mit ihrer Kamera ergründen möchte. Dabei setzt sie nicht auf konkrete Abbildung, sondern spielt mit Stimmungen und ist eine Meisterin der Verwandlung. Dies gelingt ihr mithilfe einer Analog-Kamera, Blitzen und Farbfolien, mit denen sie abstrakte Farbkombinationen und Strukturen erzeugt. Das Resultat, das auf einer analogen Aufnahme basiert, gleicht einem abstrakten Gemälde. Das Auge des Betrachters tastet nach Raum und Perspektive und wird mit der Wahrnehmung reizvoller Farbflächen und Strukturen belohnt.
Berit Schneidereit, Meisterschülerin von Andreas Gursky, stammt aus Frankfurt und lebt heute in Düsseldorf. Ihre Spezialität sind Fotografien einer „urbanen Vegetation“, von Pflanzen, Unkraut, Büschen und Ästen. Die Fotos erscheinen rätselhaft, da über die Motive ein Gitter gesetzt wird. Einerseits wirken sie wie reale Abbildungen, andererseits entzieht sich das Motiv und wirkt verschwommen. Dies gelingt ihr, indem sie analoge Fotografie mit digitaler Bearbeitung kombiniert. In der Nachbearbeitung entstehen filigrane Schattierungen, die in einen fantasievollen Dialog mit dem ursprünglichen Motiv münden.
Lucia Sotnikova stammt aus Wolgograd, auch sie ist Meisterschülerin von Andreas Gursky.
Sie nutzt vorhandene Objekte wie etwa Bücher, aus denen sie Seiten abfotografiert, auf die zuvor Gegenstände legte. So schimmert etwa eine Seite eines alten Anatomiebuches auf ihrem Foto durch, auf der sie eine goldene Kette drapierte. Bei Sotnikova wirkt das dann so, als hätte sich eine goldene Schlange in einem alten Anatomiebuch verkrochen. Ein neuer Rhythmus und eine neue Melodie entstehen. Mitunter ist in ihren Fotografien eine menschliche Hand zu erkennen, die ein Objektiv auf eine Kamera schraubt. Vielleicht will die Künstlerin damit an die Ursprünge des Mediums erinnern oder einfach nur mit dem Betrachter scherzen. Auch das macht den Reiz einer gelungenen Ausstellung aus: Es darf gelacht werden.
Die Ausstellung ist noch bis zum 29. August 2020 geöffnet
Weitere Informationen unter schierkeseinecke.com