18 junge Künstler verwandeln jüdische Gemeindehalle in ein kleines Museum zeitgenössischer Kunst
Text und Foto von Edda Rössler (Leicht gekürzt), am 24. Oktober 2020 in der Frankfurter Neuen Presse veröffentlicht
„Ich denke viel an die Zukunft, weil das der Ort ist, wo ich den Rest meines Lebens zubringen werde“, sagt der amerikanische Satiriker Woody Allen. Selbst der Rest des Lebens wird von unserer Identität geprägt, zu der Vergangenheit und Gegenwart zählen. Der spannenden Frage, was uns ausmacht, gehen 18 jüdische und nicht-jüdische Künstler in der Ausstellung „Identität“ im Frankfurter Ignatz-Bubis Zentrum in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt nach. Die anlässlich der 40jährigen Städtepartnerschaft von Frankfurt am Main und Tel-Aviv konzipierte Ausstellung wurde am Donnerstag von den beiden Kulturdezernenten Marc Grünbaum (Jüdische Gemeinde) und Ina Hartwig in Anwesenheit vieler Künstler eröffnet. Zudem vergab die Jüdische Gemeinde dotierte Kunstpreise für das kreative Schaffen an Raphael Brunk (1. Preis, 5.000 Euro), Olga Grigorjewa (2.Preis, 3.000 Euro) und Paul Schuseil (Sonderpreis, 1.000 Euro) verliehen.
Die Ausstellung wurde von Daniela Lewin, der Leiterin der Kulturabteilung der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, mit Unterstützung ihrer Kollegin Sonja Roos kuratiert. Für das ehrgeizige Projekt haben sie sich die Kunstexpertin Ruth Polleit Riechert als externe Unterstützung mit ins Boot geholt. „Wir wollten den ästhetischen Blick nicht allein auf jüdische Sehweisen konzentrieren.“ „Wichtig war uns zudem“, so Lewin, „dass sich die Künstler mit der besonderen Raumsituation des Gemeindezentrums auseinandersetzen.“ Die lichtdurchflutete offene Halle mit Sicht auf die geschwungene Treppe zum ersten Stock bietet keine Stellwände, aber viele Plätze, in denen sich jetzt geballte Kunst eingenistet hat.
Was sich zunächst als Schwierigkeit darstellte, entpuppte sich letztendlich als Glücksfall.
Bernhard Adams, Elad Argaman, Raphael Brunk, Yael Frank, Liat Grayver, Olga Grigorjewa, Roey Victoria Heifetz, Atalya Laufer, Miriam Naeh, Anna Nero, Richard Nikl, Anna Perach, Nadia Perlov, Michal Raz, Antonia Rodrian, Paul Schuseil, Noga Shatz und Dahye Son, die Absolventen internationaler Kunstakademien haben gerade durch die erforderliche Verortung eindringliche und bewegende Werke geschaffen.
Imposant prangen die beiden großformatigen Arbeiten „Diptychon #A19493“ des in Frankfurt lebenden und arbeitenden Fotokünstlers Raphael Brunk (1987) über Eck.
Das Werk basiert auf Screenshots von Comics der jüdischen Illustratoren Jerry Siegel und Joe Shuster, den Erfindern von „Superman“. Mittels digitaler Algorithmen bearbeitete er deren Vorlagen. „Hinzu kommen der kultivierte Zufall sowie kompositorische Momente“, so der Künstler. Entstanden sind lebhafte, abstrakte Kompositionen mit einer ureigenen narrativen Dynamik.
Die Leipziger Künstlerin Olga Grigorjewa verliebte sich in die kleine Ballustrade. Sie stammt aus der Ukraine und erinnerte, dass sie mit ihrer Familie „mit nur wenigen Gegenständen wie einigen Vasen und Gefäßen“ auswanderten. Diese Kindheitserinnerung war der Anlass für ihre Installation aus Gips und Styropor „Auf kleinem Raum zwischen Drinnen und Draußen“. Wie aneinandergereihte Fähnchen prangen jetzt fröhliche blau- und orangefarbene Prototypen der Objekte in der Halle, deren ikonischen Rhythmus man sich nicht entziehen kann.
Als freche Störenfriede kommen die Rauminterventionen „Dagewesen-2020-IBG“ des in Mainz lebenden und arbeitenden Bildhauers Paul Schuseil (1989) daher. Überall im Gemeindezentrum tauchen unerwartet kleine Händeabdrucke an Gittern und Türen auf, die uns sagen, auch ich war da und bin immer noch anwesend. Diese Stolpersteine verleihen der Flüchtigkeit des Augenblicks ein dauerhaftes Moment.
„Wir bemerkten, dass sich vor allem die jüdischen Künstler mit ihrer Familiengeschichte beschäftigten, während nichtjüdische Künstler das Thema Identität eher abstrakt und nüchterner interpretieren“, fassen Daniela Lewin und Ruth Polleit Riechert unterschiedliche Ansätze zusammen. Jedes Exponat, das zugleich Auskunft über die besondere Technik und das Mediums des Künstlers vermittelt, lohnt der Entdeckung.