Kunst ist der Kitt der Gesellschaft

Text und Fotos von Edda Rössler
veröffentlicht in der Frankfurter Neuen Presse am 8. August 2019

An einem heißen Sommertag treffen wir Anita Beckers (72), eine der erfolgreichsten Frankfurter Galeristinnen. Draußen bebt der Asphalt vor Hitze, doch das scheint die quirlige Dame nicht zu stören. Seelenruhig empfängt sie uns in ihrer in der Innenstadt gelegenen Galerie mit den großen Schaufenstern zur Braubachstraße und Blick auf das Museum für Moderne Kunst.

Beckers wirkt modisch, ohne eitel zu sein. Bob-Frisur, dunkle Brille und dezente Kleidung signalisieren, es geht nicht um Selbstinszenierung, sondern um das Wesentliche. Und das ist bei Beckers seit über 20 Jahren die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer, insbesondere mit kinetischer und Videokunst.

Anita Beckers mit Kunstobjekt von Catharina Szonn Foto: Edda Rössler
Anita Beckers mit Kunstobjekt von Catharina Szonn
Foto: Edda Rössler

Zu Beginn des Gespräches lädt sie zu einem Rundgang in ihre aktuelle Ausstellung ein. Vorbei scheinen die Zeiten, als Kunst eine reine Männersache war. Hier laden Exponate der jungen Künstlerinnen Nadja Büttner, Eva Gentner und Catharina Szonn zum Staunen und Nachdenken ein. Wer „traditionelle Tafelbilder“ erwartet, ist bei Beckers an der falschen Adresse. Die ausgestellten Objekte feiern Urstände in der Welt der Kinetik. Sie alle bewegen sich oder scheinen sich zu bewegen. „Wundervoll, dieser Prozess und welche Farbnuancen entstehen“, begeistert sich Beckers beim Heruntergleiten eines Metallschiebers, der sanft über eine mit Kunstfell bespannte Platte streicht. „Vibrating Potential“, so lautet der Titel des Werkes der Städelschülerin Nadja Büttner (Jahrgang 1987). Der Betrachter wird eingeladen, ästhetische Prozesse zu genießen. „Vibrating Potential“ arbeitet unter der Oberfläche, entblößt sie und gibt Strukturen frei. Weniger meditativ, sondern richtig laut wird es gegenüber. Mit geübter Handbewegung setzt Beckers ein Objekt von Catharina Szonn (Jahrgang 1987) in Gang. Wunderbar, wie sich eine Betonmischmaschine plötzlich in ein hoch-ästhetisches Wesen mit kapriziösem Eigenleben verwandelt. Als Zugabe rotiert ein Besen, der an einem Schriftzug kratzt und ihn langfristig wohl zerstören wird. Wir haben Spaß an dem Readymade, das durch Künstlerhand Flügel bekam. Einen Ausflug in die Welt der Mode bieten Exponate von Eva Gentner (Jahrgang 1992). Sie gießt Zement hauchdünn auf Jute und dabei entstehen höchst fragile, seltsam verstörende Kleidungsstücke, „Kimonos“ sagt sie.

Anita Beckers und das Exponat „Vibrating Potential“ von Nadja Büttner Foto: Edda Rössler
Anita Beckers und das Exponat „Vibrating Potential“ von Nadja Büttner
Foto: Edda Rössler

Pionierin der Videokunst
Anita Beckers war eine der ersten deutschen Galeristinnen, die sich mit Videokunst beschäftigte und das Genre etablierte. „Mich fasziniert Bewegung“. Heute widmet sie sich zudem der Fotografie, der kinetischen Kunst und Assemblagen, wie jüngst in der originellen Ausstellung „Jean D‘Esk“ mit Exponaten von Thorsten Brinkmann. Wichtig ist ihr, „nah am Puls der aktuellen Kunst“ zu sein. So unterhält sie engen Kontakt zur Offenbacher HfG und zum Städel. „Frankfurt ist ein guter Standort für Kunst, die Ausbildung ist hervorragend.“ Gleichwohl beobachtet sie unterschiedliche Mentalitäten. So sei bei vielen Städelschülern die künstlerische Entwicklung bereits abgeschlossen. „Sie veredeln durch einige Städelsemester ihren Lebenslauf“. Beckers setzt auf HfG-Abgänger. „Da kann man noch auf Entdeckungsreise gehen und Künstler langfristig aufbauen.“ Wie etwa bei der Künstlerin Christiane Feser, die sie seit zehn Jahren vertritt und deren Arbeiten sich mittlerweile auch im New Yorker Guggenheim Museum befinden.

Werke ihrer Künstler sind u.a. im MoMA New York und MoMA San Francisco, im Kölner Museum Ludwig oder im Frankfurter Museum für Moderne Kunst vertreten. Die Galerie Beckers präsentiert sich auf renommierten Kunstmessen, in diesem Jahr auf der Photo Paris und der Art Düsseldorf. „Das ist mit erheblichem Einsatz und Kosten verbunden, zwischen 50000 Euro bei einer Auslands- und 20000 Euro bei einer Inlandsmesse“, berichtet sie. Investitionen, die sich rechnen müssen. Bei ihr klingt das nahezu spielerisch und nonchalant. Dass Aufmerksamkeit und Erfolg im hartumkämpften Kunstmarkt und seinem knallharten Kapitalismus kein einfaches Brot sind, weiß sie. Auch aus diesem Grund setzt sie sich für junge Künstler und Kunstförderung ein. So unterstützt sie die Ausstellungsreihe „Galerie im Atelier Frankfurt“, deren künstlerisches Programm ihre ehemalige Mitarbeiterin Corinna Bimboese verantwortet. Darüber hinaus tritt sie bei dem bevorstehenden Kunstevent „The Frankfurt Art Experience“ als Sprecherin auf. Dort ist mit Ulrike Berendson eine weitere ehemalige Galerie-Mitarbeiter mit an Bord.

Selbst jetzt in den Sommerferien ist sie in Sachen Kunst unterwegs. Vor kurzem leitete sie bei der Internationalen Sommerakademie für Bildende Künste in Venedig eine Masterclass zum Thema „Karriere des Künstlers“. Wir sind sicher, dass dabei der Tipp zum Netzwerken war, dessen Klaviatur sie mühelos beherrscht. „Kunst ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält“, davon ist sie überzeugt. „Verantwortlich dafür sind die Künstler, die trotz aller Widernisse jeden Tag unermüdlich im Atelier arbeiten“, das bewundert sie.

Ganz nah beim MMK – Die Galeristin Anita Beckers in ihrer Frankfurter Galerie  Foto: Edda Rössler
Ganz nah beim MMK – Die Galeristin Anita Beckers in ihrer
Frankfurter Galerie
Foto: Edda Rössler

Kasten

Künstler aufbauen, Kunstwerke vermitteln, all das ist ihr Lebenselixier. Dabei ist Beckers eine Quereinsteigerin. Das Schicksal hatte mit der ausgebildeten Pädagogin und Mutter von vier Kindern, die Betriebswirtschaft unterrichtete, besondere Pläne. Sie erlitt einen Schlaganfall und das hatte zur Folge, dass große Teile ihres Gedächtnisses ausgelöscht wurden. „Meinen Beruf als Lehrerin konnte ich nicht mehr ausüben.“ Da empfahl ihr Mann Günter Beckers, Arzt und leidenschaftlicher Kunstsammler, sich mit Kunst zu beschäftigen. 1991 gründete sie eine Galerie in Darmstadt, 1998 zog sie nach Frankfurt ins Gallusviertel und seit 2015 ist die Galerie in der Frankfurter Braubachstraße 9 ansässig. Im Laufe der Jahre stabilisierte sich das Gedächtnis und die Galerie Beckers wurde zum Begriff für zeitgenössische Kunst.

Kontaktinformation:
Galerie Anita Beckers –
Contemporary Art und Projects
Braubachstraße 9
60311 Frankfurt am Main
galerie-beckers.com

Aktuelle Ausstellung:
Nadja Büttner/ Eva Gentner/ Catharina Szonn
noch bis 31.8.2019
Summerbreak bis 19.8.2019