Text und Fotos von Edda Rössler, am 29.12.2020 veröffentlicht in Frankfurter Neue Presse
„Wenn Dir das Leben Zitronen gibt, mache Limonade draus“, sagen Bonvivants. Viel mehr als nur Limonade hat Mirek Macke, Künstler und Leiter des Kunstverein Montez, aus der der Pandemie geschuldeten Notsituation geschaffen, die selbst die Kunst zum Innehalten zwingt. Zusammen mit seinem kleinen Team, das aus dem jungen Musiker Janek Hruschka (Organisation) und dem Frankfurter Juristen Daniel Mouson (podcasts) besteht, hat er die spektakuläre Kunstaktion Art Wall entwickelt. „Ein ganz normaler Herbst, nur anders“, lautet das Motto und ist zugleich der Leitfaden, der sowohl die Arbeiten Frankfurter Künstler als auch ihre Persönlichkeit ins Rampenlicht der Öffentlichkeit rückt. Die Idee ist so simpel wie überzeugend. Seit dem 1. Dezember lädt er jeden Tag einen, mitunter auch zwei Künstler*Innen ein, die riesige Wand der Montez-Ausstellungshalle zu bespielen. Die Aktion endet am 31. Dezember und hat schon jetzt in der Frankfurter Kunstszene für Wirbel gesorgt.
„Ich war den ganzen Tag allein hier, das war aussichtslos“, erinnert sich Mirek, wie die Künstler den hochgewachsenen Mann mit dem markanten weißen Bart und den dunklen Augen liebevoll nennen. „Wir sollten jeden Tag einen Künstler einladen, damit man wenigstens einen Gesprächspartner hat.“ Doch nicht allein für Kommunikation sollte gesorgt werden, es sollte den Künstlern Raum, Aufmerksamkeit und Anerkennung für ihr Schaffen geboten werden.
Rasch organisierte man die Anbringung eines überdimensionalen Papierbogens, der sich über eine stattliche Höhe von 3,50 Meter Höhe und über eine Länge von 18 Metern erstreckt. Seit Anfang Dezember betreten alltäglich namhafte Frankfurter Künstler*Innen die Arena, um ihren künstlerischen Fingerabdruck abzuliefern. Für zusätzliches Rampenlicht sorgen die Fotografin Barbara Walzer, die die Künstler und ihre Arbeit mit ihrer Kamera festhält und „The Voice“ Daniel Mouson, der mit sexy-sonorer Stimme Künstler-Interviews in podcasts und Videos packt.
Ein kurzer Aufruf via Facebook genügte und im Nu meldeten sich viele Interessenten, denn Frankfurts Kunstszene wollte dabei sein. „Ich denke schon, dass wir mit Künstler*Innen wie etwa Dirk Baumanns, Vesna Bilic, Bea Emsbach, Kerstin Lichtblau, Eric Schrade, Oliver Tüchsen, Achim Rippberger, Kai Teichert und vielen anderen einen repräsentativen Einblick in die aktuelle Kunstszene geben“, ist Macke überzeugt.
Spannend sind für Macke sowohl die einzelnen ästhetischen Beiträge als auch die Dynamik des Entstehungsprozesses. Anfangs suchten sich die Künstler einen Platz aus und schufen isolierte Beiträge. So verewigte Dirk Baumanns sich mit einer Zeichnung von Greta Thunberg, Eric Schrade präsentierte ein Porträt eines „Jäckson“ und Oliver Tüchsen warf orangefarbene, dynamische Architekturlinien an die Wand. Vesna Bilic präsentierte auf über zehn Meter Länge ein schwungvolles Band mit Marienkäferchen, die sie mit knallrotem Lippenstift einzeln küsste und dabei viele Herzchen zurückließ. Rasch formte sich aus den einzelnen Beiträgen ein Gesamtwerk und die Künstlerbeiträge gehen fließend ineinander über. So blieben vereinzelte Übermalungen nicht aus und auch einige Lippenstiftherzen fielen in einen tiefblauen Farbenteich, den „Sea of Love“.
Für Schockmomente sorgte der Konzeptkünstler Serkan Gören, indem er massenhaft weiße Farbe auf die Werke seiner Kollegen auf das Gemälde klatschte. Das Entsetzen der Künstler löste sich erst, als man erfuhr, dass er eine transparente Farbe verwandte, die nach dem Trocknen wieder den Blick auf die vorhandene Kunst freigibt. „Ich bin Heidegger-Fan, ebenso wie der Mensch in die Welt geworfen wird, so werfe ich Farbe an die Wand“, begründet Gören das Happening. Jeden Tag verwandelt sich das Wandgemälde in ein neues Kunstwerk, darüber freuen sich Macke und sein Team.
Das Projekt gefiel dem städtischen Kulturamt, das die Montez-Art Wall finanziell unterstützt. So erhält jeder Künstler nach getaner Arbeit einen Obolus, was in den kargen Zeiten eine lobenswerte Ausnahme ist. „Manche hatten Tränen in den Augen, als sie das Honorar bekamen“, berichtet Janek Hruschka. Neben der Finanzierung des Montez-Teams ist nun auch die Erstellung eines Projektkatalogs möglich.
Am 31. Dezember wird die Montez-Art Wall erschaffen sein und wahrscheinlich wird ein Sektkorken bei einer kleinen, coronagemäßen Abschlussfeier knallen. Doch der Knall wird gehört werden in der Kunstszene. Wer weiß, vielleicht wird die Art Wall auch bald in anderen deutschen Städten Nachahmer finden. „Diese Art von Mauer ist doch besser als die Berliner Mauer“, sagt Macke mit einem Augenzwinkern.
Montez-Art Wall, Die Kunstaktion findet im Kunstverein Familie Montez noch bis zum 31. Dezember 2020 statt. Weitere Informationen, auch die Fotos von Barbara Walzer und die podcast unter kvfm.de