Der Ausstellungstitel ist zugleich Programm. Das knappe Haiku, eine japanische Gedichtform, die aus drei Wortgruppen besteht, führt in die malerische Welt der Alissa Walser (60) und sagt bereits alles. Drei Dinge braucht diese Künstlerin, um Welten entstehen zu lassen. Wasser, Pinsel und Farbe genügen. Zurückhaltend und leise, so wirkt auch die in der Nähe von Frankfurt lebende und arbeitende Künstlerin, die in der Galerie Arte Giani neben neuesten einige ältere Aquarelle präsentiert. Die im quadratischen Format angelegten, kleinformatigen Bilder kennzeichnen sich durch ein bewegtes Linienarrangement, eingebettet in harmonischer Farbpalette mit mittlerer Strahlkraft. Diese Töne sind Erdtönen nahe, Sandtöne, Facetten von Grün, warme Grautöne und ein helles Braun schlängeln sich mal mäandernd, mal wellenartig über das Papier. Nahezu jeder Pinselstrich, jeder Farbauftrag wird von einem weiteren Farbton akzentuiert. Die Werke gleichen geheimen Botschaften und laden zum Entziffern, Nachdenken und Meditieren ein.
Genau wie ein Dichter bei der Wahl seiner Worte jeden einzelnen Buchstaben auf die Waagschale legt, Überflüssiges streicht, in dem Bewusstsein, dass mitunter schon ein Buchstabe zu viel die Komposition zum Kippen bringt, so sorgsam gleiten Pinsel und Farbe bei Walser über das Papier. Sie arbeitet vorsichtig, aber nicht zögerlich. Dabei entstehen Kompositionen, die nachhallen. „Aquarelle zeichnen sich durch eine fast körperlose Kraft aus“, sagt Walser. Genau von dieser Kraft fühlt sich der Betrachter angezogen.
Die Ausstellung besteht aus zwei unterschiedlichen Werkrichtungen. Da gibt es die Arbeiten, in denen das Quadrat das Bildgeschehen bestimmt und die Komposition in Zaum hält. Andere Arbeiten, die zu Pandemiezeiten entstanden, sperren sich gegen Enge. In dieser Phase, sagt Walser, habe sie Sehnsucht nach Fröhlichkeit verspürt und die Aquarelle freier angelegt. Da darf sich die Komposition, zumindest in Gedanken, auch mal über den Quadratrand hinaus entfalten. „Hier sage ich dem Quadrat, wo es lang geht“, erinnert sich die Künstlerin.
Spannend ist zudem der soeben erschienene Gedichtband „Sprachlaub“, der in Zusammenarbeit mit dem berühmten Vater, dem Schriftsteller Martin Walser, entstand. In dem bei Rowohlt aufgelegten und in der Galerie erhältlichen Band findet man Bilder von Alissa und Texte von Martin Walser. Die Künstler beschreiben ihre Arbeiten als „Gespräche über das Leben, das Schreiben und die Liebe“.
„Ich lasse mich wiegen vom Rauschen der Bäume: Dahinein sticken die Vögel ihr tönendes Geschmeide“, schreibt Martin Walser. Betrachtet man das korrespondierende Aquarell, das sich aus luftig schimmernden Grün- und Brauntönen, untermauert von einem warmen Grau zusammensetzt und mit leichter Schattengebung Raumtiefe vermittelt, beeindrucken die Sogkraft der Worte ebenso wie die des Bildgeschehens. „Wir haben dieses Projekt gemacht und einige Bilder habe ich begleitend zu den Texten zur Verfügung gestellt“, sagt Alissa Walser. Die Frage, ob es schwierig sei, mit einem berühmten Vater zusammenarbeiten, verneint sie. „Wir wissen um die Untiefen. Wenn wir so ein Projekt stemmen, dann arbeiten wir professionell zusammen.“
Abschließend verrät die Künstlerin, dass sie zudem als Schriftstellerin tätig ist. „Ich bin über das lineare Zeichnen zum Schreiben gekommen.“ Auf die Frage, welche Kunstform, die Malerei oder die Schriftstellerei, sie bevorzuge, zuckt sie mit den Schultern. „Kann man so nicht sagen.“
Die Ausstellung ist noch bis zum 21. Januar 2022 geöffnet. Weitere Informationen unter www.artegiani.de
Martin Walser Sprachlaub – Alissa Walser Aquarelle
Rowohlt Verlag, 2021, 28 Euro
Text und Foto von Edda Rössler, am 21. Dezember 2021 veröffentlicht in Frankfurter Neue Presse