Frankfurt am Main, Januar 2019
Künstlerinnen auf Spurensuche
„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er etwas erzählen“, lautet ein bekanntes Sprichwort des romantischen Dichters Matthias Claudius. Viel mehr als „nur“ erzählen, das haben sechs renommierte Künstlerinnen in dem jüngst erschienenen Reise-Tagebuch „Zurück – die Seele nicht“ getan. Der von der Frankfurter Kunsthistorikerin Dr. Sonja Müller herausgegebene Band präsentiert künstlerische Impressionen einer Italienreise von Despina Apostolou, Fides Becker, Ninna Korhonen-Schwegler, Julia Roppel, Martina Wolf und Dana Zeisberger. „Wichtig bei der Zusammenstellung der prominenten Reisegruppe war nicht allein das Renommee der Künstlerinnen, alle sollten in Frankfurt am Main leben und arbeiten oder zumindest einen ausgewiesenen Bezug zu der Stadt am Main vorweisen“, informiert Müller. Das Projekt wurde vom Frauenreferat der Stadt Frankfurt am Main (Leitung Gabriele Wenner) im Rahmen der Kampagne Frauen.Macht.Politik. gefördert. Es sollte explizit das Thema Reisen aus der Sicht von Frauen schildern.
Wenn Frauen reisen
Die Künstlerinnen leisteten im Sommer des vergangenen Jahres der Einladung von Sonja Müller Folge und ließen sich wie einstmals schon Frankfurts berühmter Olympier Johann Wolfgang Goethe von der Sonne des Südens inspirieren und verzaubern. Auch das wurde mit auf den Weg gegeben: Die Reflektion über Reisen von Frauen nach Italien seit dem 18. Jahrhundert bis heute. Worin lagen die Unterschiede, worin die Gemeinsamkeiten?
Grüße aus der Vergangenheit
Zeitversetzt lud Müller jeweils einzelne Künstlerinnen aus der designierten Gruppe in die Nähe von Rom ein und besuchte mit ihnen tradierte Orte, die von der wechselvollen Vergangenheit Roms berichten. Dass sie dabei einen Schwerpunkt auf das UNESCO-Weltkulturerbe Tivoli mit dem Besuch der Villa Hadriana und der Villa d‘Este legte, ist ein weiterer Pluspunkt des reizvollen Bandes. In einzelnen Kapiteln stellt Sonja Müller die entstandenen Werke und ihre Schöpferinnen vor. Dabei verblüfft, wie feinfühlig und facettenreich sie mit der Situation vor Ort umgehen. So erlebt der Leser die vorgefundene Architektur, Landschaft, Geräusche und all die damit verbundenen sinnlichen Erfahrungen aus vielen unterschiedlichen Perspektiven. Geschickt wird zudem auf die Rezeption Italiens in vergangenen Jahrhunderten eingegangen. Dass dabei vor allem auf Reiseerlebnisse der Komponistin und Pianistin Fanny Mendelssohn, der älteren Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy, eingegangen wird, ist ein weiterer Schachzug, weist er doch auf die missliche Situation von Künstlerinnen in der Vergangenheit hin. Fanny Mendelssohn, die im 18. Jahrhundert lebte, waren eine musikalische Karriere und Auftritte in der Öffentlichkeit weitgehend untersagt. Erst nach ihrem Tod wurden einige Werke veröffentlicht.
Flirrendes Potpourri
Das Potpourri der entstandenen Werke gleicht flimmernden Sonnenstrahlen, wie sie nur die Luft und das Licht des Südens offenbaren. Wie die Dichter der Romantik suchten die Künstlerinnen im Süden nach der „blauen Blume“, dem Symbol der Wanderschaft, der Sehnsucht, der Ferne und der Liebe, ohne dabei die rosarote Brille auszupacken. Jede Spurensuche wurde mit beachtlichen Ergebnissen belohnt. Bilder, Collagen, Fotografien, Performances und Kompositionen machen das Reise-Tagebuch zu einem Füllhorn an Kunstgenüssen. Allen gemeinsam ist die Freude am Entdecken, Erleben, an der Reflektion ebenso wie der souveräne und künstlerisch behutsame Umgang mit dem Gesehenen. So berichten sie von Italien im Schwebezustand von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In dem Band „Zurück – die Seele nicht“ spüren wir die Vergänglichkeit des Erlebens und erfreuen uns an zeitgemäßen, frischen Interpretationen.
Fazit: Der Band ist ein wahres Muss für alle Freunde der schönen Künste und für Italien-Liebhaber. Egal, wie viel Sehnsucht in der Suche nach der blauen Blume steckt, kein Klischee verstellt den Blick auf die vorgefundene Realität.
„zurück – die Seele nicht“
Tagebuch einer Reise von Frankfurt nach Romantik
mit Despina Apostolou, Fides Becker, Ninna Korhonen-Schwegler, Julia Roppel, Martina Wolf und Dana Zeisberger
hrsg. von Sonja Müller, Texte und Redaktion
Design: Margarethe Hausstätter, extragestaltung.de
18 Euro zzgl. Versandkosten
erhältlich bei Sonja Müller
Email: sonja.mueller@frankfurter-kranz.de
Zu den Künstlerinnen
Despina Apostolou
Die Pianistin Despina Apostolou ist eine gefragte Solistin, Kammermusikerin und Korrepetitorin. Sie wurde in Thessaloniki geboren, studierte zunächst am Neuen Konservatorium in Thessaloniki (Griechenland), an der Nationalen Musikakademie Sofia (Bulgarien) und schließlich an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. Sie schuf für das Reise-Projekt eine inspirierende Soundcollage. Aktuelle Geräuschkulissen, die sie während Spaziergängen in den Straßen Roms aufnahm, übertrug sie auf eine Komposition von Fanny Mendelssohn. So entstand ein Werk, das auf faszinierende Weise Gegenwart und Vergangenheit in einen künstlerischen Dialog setzt. Unbedingt anhören:
Weitere Informationen über die Künstlerin unter http://despina-apostolou.com/
Fides Becker
Die gefragte Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin und Frankfurt am Main. In Italien begegnete sie Geistern, die die Villa d‘Este und Villa Hadriana schon seit Jahrhunderten bewohnen, und hat mit ihnen Zwiesprache gehalten. Doch gerade in dem Moment, als die Meisterin des Trompe-l’œil sie in ihrer vortrefflichen, unnachahmlichen Weise porträtierte und auf Papier bannte, haben sie sich schon wieder verflüchtigt. Diese Künstlerin beherrscht die Klaviatur des Aquarells so treffsicher, dass es selbst die alten Meister herausfordert. Ihre Aquarelle gleichen Schnappschüssen aus dem Jenseits. Just In dem Moment, in der das Vergangene aufblitzt, setzt Becker einen ironischen Kontrapunkt. Schlagschatten, Neon-Farben, eine freche Grimasse und ein sexy Busen sorgen für Aktualität und Dynamik. Selten zuvor wurden Relikte der Vergangenheit so originell und frisch interpretiert.
Weitere Informationen über die Künstlerin unter fides-becker.de
Ninna Korhonen-Schwegler
Selbst per Biografie eine Reisende, in Afrika geboren, in Italien und Finnland gelebt, Studium an der Städelschule, seitdem in Frankfurt am Main zuhause.
Ihre Annäherung an Italien: Die Künstlerin schritt durch die Straßen Roms im historischen Gewand, eine Zeitreisende, die sich von den Widersprüchen, die sich aus Wunschdenken, Sehnsuchtsorten und der Realität inspirieren lässt
Im Bild: Die Künstlerin im Kostüm, den Blick in die Ferne gerichtet. Sie schaut auf eine antike Brücke, hinter der eine moderne Stadtlandschaft zu erkennen ist. Im Vordergrund entdecken wir sehen eine morbide Rose und Gekritzel im Stein. Ein wahrhaft perfekter Moment zwischen Gestern, Heute und Morgen.
Julia Roppel
Geboren 1961 in Bremervörde, lebt in Frankfurt / Main.
Einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist die Landschaftsmalerei. In Italien schuf sie Aquarelle (Aquarellfarben mit Bleistift), aber auch großformatige Ölbilder (Öl auf Leinwand). Sie wirken beschwingt und entspannt. Strich, Farbe und noch ein paar Kringel – schon ist die italienische Landschaft aufs Papier gebracht. Nahezu tänzerisch gleiten Linien und Farbtupfer über das Blatt und evozieren typische Landschaften. Obwohl sie sich auf die Primärfarben Rot, Grün und Blau im wesentlichen konzentriert, wirkt ihr Italien bunt, flirrend und aufgewühlt. Nordsee meets Mittelmeer, immer ist eine Prise Waterkand dabei.
Weitere Informationen unter juliaroppel.de/
Martina Wolf
präsentiert in zahlreichen Fotografien einprägsame Variationen des „Fenstersmotiv“, einem festverankerten kunsthistorischen Topos. Sonja Müller schreibt dazu: „Das Fenster schafft den Rahmen für das Landschaftsmotiv. Es ist das Spiel von Innenraum und Außenraum und das Gegensatzpaar Stadt und Land, das Martina Wolf in Corciale (Italien) fasziniert.“ Die Künstlerin inszeniert die Fotos wie ein Bühnenbild.
Weitere Informationen unter martinawolf.de
Dana Zeisberger
Die Malerin entdeckte in Italien ihre Vorliebe für Pinien, die sie wie ein Theaterstück inszeniert. In ihren Gemälden mutieren Baumstämme, Äste und Blätter zu leidenschaftlichen Akteuren in ungeheuren Dramen. Lady Macbeth, Hamlet treffen auf Ophelia und Titania. So viel ungezügelte Leidenschaften, witzigerweise alle in kleinem Format, doch mit großer Strahlkraft, machen Appetit auf mehr!
Ihre Technik: wasservermalbare Ölfarbe auf Inkjetprint.
Weitere Informationen unter danazeisberger.de
Fanny Hensel, Musikerin (1805 – 1847)
Sie wurde als Fanny Zippora Mendelssohn geboren und als Fanny Cäcilie Mendelssohn Bartholdy getauft. Fanny war eine Komponistin und Pianistin im Zeitalter der deutschen Romantik. Ihr Werk wurde (mit wenigen Ausnahmen) der Stiftung Preußischer Kulturbesitz anvertraut. Allerdings wurde ihr als Frau eine musikalische Karriere und Veröffentlichungen zu Lebzeiten von der Familie weitgehend untersagt.
Informationen zu Fanny Mendelssohn u.a. auch bei Wikipedia unter wikipedia.org/wiki/Fanny_Hensel
Dr. Sonja Müller
Kunsthistorikerin, Herausgeberin des Kunst-Reisetagebuches und Gastgeberin in Italien
Dr. Sonja Müller steht seit einigen Jahren dem „Frankfurter Kranz“ vor, dem Netzwerk für Frauen aus Kunst und der Kreativwirtschaft.
Weitere Informationen unter frankfurter-kranz.de/portfolio/frankfurter-kranz/
Text von Edda Rössler. Die Autorin dankt Dr. Sonja Müller für die übermittelten Fotos.