Text und Foto von Edda Rössler
Der Bericht wurde am 20. Juni 2020 in der Frankfurter Neuen Presse veröffentlicht
Was passiert, wenn sich Fotografie und Skulptur begegnen? Das Aufeinandertreffen zweier höchst unterschiedlicher Kunstgattungen, bei der die eine auf Räumlichkeit setzt und die andere zweidimensional bleibt, kann ein Wagnis sein. Nicht so in der von Marina Grützmacher geleiteten Galerie KunstRaum Bernussstrasse. Seit dem mittlerweile 14- jährigen Bestehen widmet sich Grützmacher diesem Thema und präsentiert in der aktuellen Ausstellung mit Fotografien von Ursula Edelmann und Skulpturen von Stefan Pietryga einen gelungenen Dialog. Beiden Künstlern gemeinsam ist, dass sie sich zunächst mit bestehenden Kunstwerken beschäftigen. Sie wollen sie unvoreingenommenen betrachten, um anschließend mit den ureigenen Mitteln ihres Mediums wieder neue Interpretationen zu wagen.
Beim Betreten der Galerieräume springen zunächst die Holzskulpturen ins Auge. Der mit Kunstpreisen mehrfach ausgezeichnete Bildhauer Stefan Pietryga (65), dessen Werke in Museen und Kirchen vertreten sind, zeigt an die zehn, zumeist aus Lindenholz geschaffene Skulpturen, die er eigens für die Raumsituation der Galerie auswählte. Dem Besucher begegnen Engel, Pferde, Blumen und immer wieder das besondere „Markenzeichen“ des Künstlers: die blaue Holzpappel. Eine wartet bereits im Vorgarten auf die Besucher, einige seiner Holzfiguren halten sie in der Hand, bei anderen verwandelt sich die Pappel selbst in eine Figur. Dabei taucht er seinen originell dargestellten Lieblingsbaum in ein an Yves Klein erinnerndes Ultramarineblau. Die Folge davon ist, dass er leicht, ätherisch und beschwingt wirkt. Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass Pietrygas Figuren, selbst wenn sakral angelegt, einen durchaus humorvollen Charakter versprühen. Trotz aller Pietät darf für ihn auch der künstlerische Prozess genussvoll sein. „Michelangelo hat sicherlich viel Spaß gehabt, als er seine Davidfigur aus dem Marmor geschlagen hat“, davon ist er überzeugt.
Sich von gängigen Klischees zu befreien, die Interpretation von Kunst ohne Vorurteile angehen, das ist ebenfalls wichtiges Anliegen der Fotografin Ursula Edelmann. Die in Berlin geborene, 94jährige Künstlerin ist stolz, dass sie bereits seit über 70 Jahren selbstständig ist. Ihr Alter merkt man ihr nicht an. Rüstig schreitet sie durch Galerieräume und erläutert die Entstehungs-Stationen der an die 40 ausgestellten, zumeist s/w-Fotos. Die Aufnahmen hat sie mit der Analog-Kamera geschossen und selbst in der Dunkelkammer beim Hören von klassischer Musik entwickelt. Seit 1949 lebt sie in Frankfurt am Main. Hier war sie seit 1955 für das städtische Hochbauamt tätig und hielt mit ihrer Kamera die Entwicklung von Bauprojekten fest. In den sechziger Jahren fotografierte sie vor allem für Frankfurter Museen wie das Städelsche Kunstinstitut oder das Liebighaus. Da war dokumentarische Fotografie gefragt, denn es sollten die im Bestand befindlichen Kunstwerke, darunter etliche Skulpturen, für Kataloge aufgenommen werden. „Mir ging es um Lebendigkeit und um Zeitlosigkeit“, erklärt sie ihr Schaffen. Mit welcher Grandezza ihr das gelang, davon kann sich der Besucher beim Betrachten der herrlich unaufgeregten, dennoch quicklebendigen Fotos überzeugen. Zu den Motiven zählen Aufnahmen von Skulpturen, Kunstinstallationen und Architekturaufnahmen. Für das Frankfurter Publikum dürfte insbesondere die eindrucksvolle Aufnahme des von dem amerikanischen Künstler Jonathan Borosfky geschaffenen „Hammering Man“ aus dem Jahr 2001 sein. Wenn auch ein paar Hochhäuser fehlen dürften, bereits damals machte er im Konzert mit der eindrucksvollen Hochhaus-Silhouette eine Bella Figura. So wie die Kunst von Ursula Edelmann und Stefan Pietryga.
Die Ausstellung „Die Inspiration – zwei Blicke“ – Ursula Edelmann & Stefan Pietryga Fotografie und Skulptur ist noch bis zum 25. Juli 2020 nach vorheriger telefonischer Absprache geöffnet.
Weitere Informationen unter kunstraum-bernusstrasse.de/